Sicherlich erscheint es im ersten Moment müßig den formalen Tagesablauf einer Verhandlung im NSU-Prozess auszuformulieren und man fragt sich, welcher Mehrwert daraus gewonnen werden kann. Doch viele Zuschauer_innen berichten, dass sich, nachdem sie persönlich vor Ort waren, ihre Perspektive auf den Prozess verändert habe. Der NSU-Komplex sei greifbarer, realer geworden und gleichzeitig schockiert die Alltäglichkeit, die mit der Verhandlung einhergeht. Ein kritisches Augenmerk auf die sich verändernde Innen- und Außenwahrnehmung des Verfahrens zu haben, insbesondere mit Blick auf die bis mittlerweile Anfang 2016 geplanten Verhandlungstermine, wird somit immer wichtiger.
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Archiv der Kategorie: Prozessbeobachtung
Die Tristesse des Betonklotz
von Charlotte W.
– Ein Erfahrungsbericht vom Besuch des NSU-Prozesses –
Die Betonfassade des Justizzentrums in der in der Nymphenburger Straße hebt sich kaum vom grauen, wolkenverhangenen Himmel ab. Es ist ein trüber Novembermorgen, an dem wir uns vor dem Gebäude versammeln, um gemeinsam den 162. Verhandlungstag des NSU-Prozess in München zu verfolgen. Aber zunächst heißt es warten. Viel ist nicht los an diesem Tag. Eine Schulklasse ist noch da, aber deren Interesse gilt offensichtlich nicht dem NSU-Prozess, da sie sich nicht vor dem separierten Sondereingang, sondern vor dem Haupteingang einreihen. Als Justizfachangestellte freundlich und routiniert dann die Pforten öffnen, fühle ich mich noch nicht wie bei Gericht, sondern wie am Flughafen: Gang durch den Metalldetektor, dann sämtliche Taschen entleeren, hinter Sichtschutz wird abgetastet. Wie im Theater kann ich schließlich meine Jacke und Tasche abgeben und erhalte im Gegenzug eine Gaderobennummer. Sogar „Viel Spaß!“ wünscht man mir. Ich bin gespannt.
„Die Luft hier ist zum Schneiden“
Von der Forschungsgruppe Recht Raum NSU
– Eindrücke vom Besuch des NSU-Prozess im Oberlandesgericht München –
Geduldsprobe: Auf dem Platz vor dem Haupteingang steht ein provisorisches „Partyzelt“, dessen weiße Farbe sich von den dunklen Tönen der Außenfassade des OLG abhebt. Es dient als „Warteraum“ und Wetterschutz für wartende Besucher_innen des NSU-Prozess. Das Zelt ist längs durchtrennt von gelben Bauzäunen aus Plastik, die mich an Baustellen denken lassen.
A Londoner’s perspective on the NSU trial and the proceedings at the Munich Higher Regional Court
By Liz Fekete – Executive Director of the Institute of Race Relations (liz@irr.org.uk)
It’s a long time since I was at the Munich Higher Regional Court, and I worry about the reliability of my memory. But after both visits I wrote emails to my friend Peter Pelz, and I include extracts from this correspondence here. Peter, many of whose family died at Auschwitz, is a co-director of the Soul of Europe, a mediation project working in the Balkans. Dust, Thou Art – a (forthcoming) memoir of his journey through the Balkans, is a reflection on the relationship between societal cruelty and cultural norms. While Peter has a great interest in the NSU case, my reading of earlier drafts of his manuscript also informed the way I related to the NSU trial. I found myself reflecting not just on the court proceedings, but wider cultural norms in Germany.
Eine Londoner Perspektive auf den NSU-Prozess und die Verhandlungen im Münchner Oberlandesgericht
Ein Gastbeitrag von Liz Fekete – Direktorin des Institute for Race Relations (liz@irr.org.uk)
Es ist schon längere Zeit her, dass ich im Münchner Oberlandesgericht war und ich sorge mich daher etwas über die Verlässlichkeit meiner Erinnerung. Doch nach meinen beiden Besuchen schrieb ich Emails an meinen Freund Peter Pelz. Unter anderem verwende ich hier Ausschnitte aus unserer Korrespondenz. Peter, aus dessen Familie viele in Auschwitz ermordet wurden, ist Kodirektor des Mediationsprojekts “Soul of Europe”, welches in der Balkanregion aktiv ist. Dust, Thou Art – seine in Kürze erscheinenden Memoiren seiner Reise durch die Balkanregion, ist eine Reflexion über die Beziehung zwischen Unmenschlichkeit in der Gesellschaft und kulturellen Normen. Während Peter ein großes Interesse an dem NSU-Prozess hat, wurde meine Art und Weise, wie ich mich auf den NSU-Prozess beziehe durch die Lektüre der Entwürfe seines Manuskripts beeinflusst. Ich habe mich in Reflexionen wiedergefunden, nicht nur über die Gerichtsverhandlungen, sondern auch über die zugrundeliegenden kulturellen Normen in Deutschland.